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40 Jahre Forschung und Kooperation in Togo

Das Institut für Tropenmedizin der Universität Tübingen (ITM) kann auf 40 Jahre Forschung und Kooperation in Togo, Westafrika zurückblicken.

kartetogo Togo und das Onchozerkose Kontroll Programm (OCP)
Diese Aktivitäten knüpfen an eine lange Tradition deutscher Ärzte und Wissenschaftler an, die sich in dieser ehemaligen deutschen Kolonie weit zurückverfolgen lässt. 1884 unterzeichnet der kaiserliche Bevollmächtigte Dr. med. Nachtigal mit König Mlapa II von Togoville einen Schutzvertrag, der allerdings am Anfang des Ersten Weltkrieges in der Kolonie nach der Kapitulation der deutschen Streitkräfte schon 1915 endet. Erst nach der Unabhängigkeit Togos von der nachfolgenden französischen Kolonialherrschaft im Jahre 1960 hat sich Deutschland durch zahlreiche Entwicklungsprojekte wieder stärker engagiert.

1967 wurde in der Hauptstadt Lomé ein Hygiene-Institut mit deutscher Hilfe errichtet, das Institut-Ernst-Rodenwaldt, das bis heute eine zentrale Rolle im öffentlichen Gesundheitswesen des Landes spielt. 1978 wurde in diesem Institut mit Unterstützung der WHO und der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (gtz) ein Onchocerciasis-Referenz-Labor eingerichtet, das Hartwig Schulz-Key – damals noch Mitarbeiter des Tropeninstituts Hamburg - leitete. Nach 1981 geht mit seinem Wechsel nach Tübingen auch die wissenschaftliche Leitung an das ITM über. Bedingt durch eine enge Zusammenarbeit mit dem Onchozerkose Kontroll Programm (OCP) in Westafrika, wurde das Onchocerciasis-Referenz-Labor schon bald danach, überwiegend aus epidemiologischen Gründen, in die Zentralregion Togos an das Regionalkrankenhaus nach Sokodé verlegt.

In Togo sind viele Parasitosen des Menschen endemisch. Zentraler Forschungsschwerpunkt des Labors war aber seit Anfang die Untersuchung einer Infektion mit dem Fadenwurm Onchocerca volvulus, der zu den Filarien gehört, einem Parasiten, der beim Menschen in subkutanen Bindegewebsknoten zu finden ist. Seine Larven, die Mikrofilarien, halten sich in der Haut auf, bei chronischer Infektion auch in der vorderen Augenkammer. Sie sind es, die das eigentliche medizinische Problem verursachen. Die Mikrofilarien führen bei den Infizierten zu schweren Dermatitiden und teilweise zu irreversiblen Augenschäden bis hin zur Erblindung. Eine Übertragung des Parasiten von Mensch zu Mensch erfolgt durch Kriebelmücken, Simuliiden, die in schnell fließenden Flüssen brüten und ihren Blutwirt in Flussnähe aufsuchen. Menschen, die entlang der Flüsse siedeln, sind besonders gefährdet: 80% der Bevölkerung und mehr können hier infiziert sein. Wegen dieser charakteristischen Verbreitung hat die Onchocerciasis auch die Bezeichnung Flussblindheit erhalten.

Sobald 10% in der Dorfgemeinschaft erblindet sind, bricht die soziale Struktur nach und nach zusammen, junge Männer wandern als erste ab. Blinde, Frauen, Kinder und Ältere bleiben anfangs noch zurück, bis die Aktivitäten der Dorfbewohner ganz zum Erliegen kommen und das Dorf schließlich verlassen wird.
piste Piste in der "Région Centrale"
Besonders in der Savanne, wo die Menschen in hohem Maße auf das Wasser in den Flüssen angewiesen sind, ist die Onchocerciasis der wichtigste, wenn nicht der einzige Grund, weshalb eine erfolgreiche Landwirtschaft oft nicht möglich ist. So sieht es die WHO.

In den Anfangsjahren des Labors standen epidemiologische und parasitologische Untersuchungen der Onchocerciasis im Mittelpunkt. Es war mit der Collogenase-Technik gelungen, den sehr langen und fragilen adulten Wurm aus den Bindegewebsknoten schonend zu isolieren und ihn für morphologische, biologische, biochemische, immunologische und chemotherapeutische Untersuchungen zugänglich zu machen. Mit Hilfe dieser Technik konnte gezeigt werden, dass die Wurmpopulation in der westafrikanischen Savanne überaltert und nur gering produktiv war. Die jahrzehntelange Bekämpfung der Kriebelmücken durch das Onchocerciasis Control Programmes hat die Übertragung des Parasiten auf den Menschen erfolgreich unterbrochen. Der Zusammenbruch der Wurmpopulation in der westafrikanischen Savanne konnte nachgewiesen werden. Dieses erfolgreiche Bekämpfungsprogramm wurde von der Weltbank finanziert, auch Deutschland hat einen erheblichen Teil davon über Jahre getragen.

wartezimmer1 "Wartezimmer" vor einer Krankenstation
Die Untersuchungen der Tübinger zeigten, daß der Parasit eine Lebenserwartung von mehr als 10 Jahren hat. Eine medikamentöse Behandlung war damals äußerst problematisch und vor allem wenig nachhaltig. So war es einer der Höhepunkte für die Tübinger, als sie Mitte der Achtzigerjahre in Phase III- und Phase-IV-Studien mit dem neuen Anthelminthikum Ivermectin eingebunden wurden. Dieses Präparat wird seit 1989 mit gutem Erfolg bei Massenbehandlungen der Onchocerciasis eingesetzt. Es ist in einer Einmaldosis gegen die Mikrofilarien in der Haut hoch wirksam, muss aber in Jahresabständen wiederholt gegeben werden, weil der adulte Wurm in den Knoten die Behandlung übersteht. Damit seine für die Übertragung wichtigen Mikrofilarien im Menschen überleben können, induziert der Parasit schon frühzeitig eine Immunsuppression. Durch die wiederholte Ivermectinbehandlung wird das Immunsystem des Wirts reaktiviert so dass neue Mikrofilarien eliminiert werden können. Dieses als ‚ivermectin-facilitated immunity’ bezeichnete Phänomen wurde von Peter Soboslay und seinen Mitarbeitern in Togo untersucht und ist weiterhin Gegenstand der Forschungen in Togo. Peter Soboslay ist seit Ende der Achtziger Jahre regelmäßig in der Außenstation tätig und hat das Labor vor allem für immunologische Arbeiten und Public Health-Aspekte erweitert. Es ist zu einer begehrten Anlaufstation für Diplomanden und Medizin- oder Biologiedoktoranden geworden, von denen inzwischen nahezu 100 ihr wissenschaftliches Gesellen- oder Meisterstück oder Teile davon vor Ort gemacht haben.

In einem DFG Graduiertenkolleg mit dem Leitthema Lebensstile, soziale Differenzen und Gesundheitsförderung stand in Togo die Frage im Vordergrund, welche Auswirkungen die Belastung von Schulkindern mit Helminthen auf die physische und kognitive Leistung haben. Die pränatale Sensibilisierung des ungeborenen Lebens in infizierten Müttern, die Frage von Helmintheninfektionen und ihren Auswirkungen auf Allergien sind weitere Fragestellungen der Feldforschung. Natürlich ist das Labor auch an nationale Gesundheitsprojekte angebunden und arbeitet erfolgreich mit den regionalen und lokalen Gesundheitseinrichtungen zusammen.

Der Parasit Onchocerca volvulus ist streng wirtsspezifisch. Für experimentelle Arbeiten ist man auf Filarien in anderen Wirten angewiesen, von denen sich einige wenige in Nagetieren entwickeln und als Modellinfektionen dienen. Hier ist es Wolfgang Hoffmann, der ein nahezu ideales Modell für Filarieninfektionen gefunden hat. In Tübingen stehen Fragen der Resistenz und Suszeptibilität im Mittelpunkt, eingebunden in ein Nationales-Genom-Forschungs-Netzwerk (NGFN). Auch der Schwerpunkt „Würmer und Allergie“ wird gleichzeitig von der tierexperimentellen Seite angegangen.

Die Arbeiten in der Außenstation wurden regelmäßig von dritter Seite gefördert, u.a. von der gtz, der EU, WHO, Edna McConnell Clark Foundation, DFG und von der Landesstiftung Baden-Württemberg. Von Seiten der Medizinischen Fakultät der Universität Tübingen gab es auch großzügige Unterstützung durch intramurale Förderprogramme wie fortüne oder IZKF.

Diagnostik Diagnostik
Internationale Forschung und Kooperation haben gerade heute einen hohen Stellenwert im Nord-Süd-Dialog; denn Entwicklungs- und Schwellenländer sind wichtige Partner von Morgen.
logos Kooperationen "Projet ONCHO"
Im Jahre 2004 bekundete der damalige Bundespräsident Horst Köhler in seiner Welt-Ethosrede sein besonderes Interesse am afrikanischen Kontinent und dessen riesigen ungelösten Problemen, erklärte Afrika zu seinem persönlichen Anliegen und versprach verstärkte Initiativen. Die Ausbildung von Studenten in Infektiologie, Parasitologie und Tropenmedizin, wie es vom ITM in Tübingen erfolgreich praktiziert wird, ist somit in mehrfacher Hinsicht relevant und stellt eine Herausforderung dar, erfordert aber von den jungen Menschen neben der Begeisterung nicht nur Initiative, sondern auch sehr viel Idealismus.